• 30.05.2011 00:56 - ZUG DER ZEIT
von Nobbi in Kategorie Allgemein.

In fast allen Zweiradsegmenten machen sich die japanischen Zweiradfabriken harte Konkurrenz. Bei den zweizylindrigen Großrollern wird das Revier ziemlich friedlich aufgeteilt



Das Jahr 2000 ist das Jahr, in dem die Rollersache wirklich groß wird. Im Juli 2000 wird in Neapel der erstaunliche Yamaha T-Max 500 enthüllt, im Dezember 2000 gibt es den ersten Pressetest des alles überragenden Honda Silver Wing 600. Der T-Max ist seitdem der Inbegriff des dynamischen Sportrollers, der Silver Wing begründet die kleine Nische der luxuriösen Reise-Maxiscooter. Ein Jahr später greift sich der Suzuki Burgman 650 mit der bislang opulentesten Ausstattung die Krone unter den Tourenrollern und gibt sie bis heute nicht mehr ab.

Zehn Jahre später ist der Yamaha T-Max der einzige unter den drei Big Playern (der große Gilera Nexus und der Gilera GP 800 konnten sich nie bedeutend in Szene setzen), dem der Hersteller eine richtige Modell-Weiterentwicklung angedeihen ließ: 2008 kommt das Einspritzmodell mit komplett neuem Fahrwerk und noch schärferem Handling. Honda und Suzuki pflegen derweil die kleinen Details. Und 2011? Was kann an einem Großroller neu erfunden werden? Honda geht einen eigenständigen Weg: Die vertraute Technik bleibt weitgehend unverändert, dafür ist die Karosserie völlig neu – der Silver Wing heißt jetzt SW-T und schaut noch immer imposant, aber sehr frisch aus der Wäsche.




„Völlig neu“ ist aber nicht ganz exakt – denn eigentlich stammt das Kleid vom bei uns seit dem Vorjahr verkauften SW-T400, außerdem ist der 600er in Japan bereits ebenfalls seit 2010 erhältlich. Die Maxiscooter-Bewegung rollt also, aber mit überschaubaren Neuerungen. Vergessen wir außerdem nicht, dass „die Krise“ da war (oder immer noch ist) und die japanischen Zweiradfabriken größere Sorgen hatten, als die Maxiscooter-Entwicklung unerbittlich voranzutreiben.

Zwei wesentliche Merkmale, die den SW-T von den Mitbewerbern abheben: Das serienmäßige ABS ist nach ausgeklügelter Honda-Manier ein kombiniertes System – mit dem linken Handhebel werden also sowohl Hinterrad als auch Vorderrad verzögert. Und mit 9290 Euro Österreich-Preis ist der SW-T gleich um satte zwei bis drei Tausender günstiger als der Burgman oder das vergleichbare T-Max-Modell. Somit ein Tourenroller-Erlebnis zum gehobenen Preis, der jedoch noch nicht in astrale Höhen entrückt ist. Von Honda wäre nie und nimmer zu erwarten, dass ein guter Preis durch Sparmaßnahmen bei der Technik selbst oder bei der Fertigungsqualität realisiert wird. Beim Blick auf die Ausstattung wird aber die Preisdistanz – zumindest zum Burgman – plausibel: Der SW-T positioniert sich bodenständiger und verzichtet völlig auf exzessive Suzuki-Ausstattungsmerkmale wie elektrisch höhenverstellbares Windschild, elektrisch einklappbare Rückspiegel, Griff- und Sitzheizung oder die elektronische Einflussnahme auf das automatische CVT-Getriebe. Bei der eingehenden Inspektion werden wir noch bemerken, dass sogar ein Groschen-Bauteil wie ein 12-Volt-Weiblein für den Anschluss von Handy oder Navigation nicht an Bord ist, Honda ist ziemlich konsequent.

Die technischen Änderungen zum Silver-Wing-„Klassiker“ sind rasch angeführt: um fünf Millimeter minimal längerer Radstand; 15 Millimeter mehr Sitzhöhe; etwas dickere Vorderrad-Bremsscheiben mit zwei Zentimeter mehr Durchmesser. Die Leistung des liegend eingebauten, 582 Kubik großen Parallel-Zweizylinders bleibt mit 37,7 kW (51,3 PS) unverändert. Bei tiefen Drehzahlen gibt’s sonoren Viertakt-Sound und einige kernige Vibrationen, aber auch durch druckvolle Beschleunigung setzt sich der Motor vernehmlich in Szene. Dank der Motor-Gummilagerung und der Ausgleichswellen verschwinden die Vibrationen dann völlig, bei Autobahntempo ist davon überhaupt nichts mehr zu spüren. Sehr beeindruckend ist das Beschleunigungsvermögen bei Tempi über 120 Stundenkilometer. Bis Tacho 160 zeigt der SW-T echte Kraft und steht nach subjektivem Empfinden dem um fünf PS stärkeren Burgman im Power-CVT-Modus kaum nach. Die ermittelte Höchstgeschwindigkeit ist mit 167 km/h sogar geringfügig höher als die des Suzuki, dessen Vorderbau (samt Breite der Windschutzscheibe) deutlich ausladender ist. Dabei ist die Tacho-Voreilung mit sieben km/h recht gering; bei Tacho 100 ist man mit echten 94 km/h unterwegs.

Die 1600 Millimeter Radstand geben dem Honda SW-T stabilen Geradeauslauf, wie alle Großroller ist er jedoch kein Freund von Seitenwind. Geringes Lenkerpendeln lässt sich provozieren, klingt aber gleich wieder ab und tritt nicht von selber auf.
Rangieren im Stand? 250 Kilo vollgetankt lassen sich nicht wegdividieren, dieser Zaubertrick ist noch nicht erfunden. Immerhin ist der Hauptständer so positioniert und angelenkt, dass das Hochhieven keine Hexerei ist. In Fahrt ist jede Behäbigkeit wie weggewischt – alle Kurvenradien gelingen mühelos und zielgenau, wenn’s nicht gerade 180-Grad-Haarnadeln sind. Die Schräglagenpräzision lässt keine Wünsche offen, wobei die neue Bridgestone-Hoop-Pro-Bereifung augenscheinlich sehr gut mit dem SW-T harmoniert. Im Vergleich zum Silver Wing wirken die Federelemente um einen Hauch straffer gedämpft – wir dürfen von einem Touren-Maxi zwar keine Sportskanone erwarten, doch das SW-T-Fahrwerk informiert schön transparent über den Fahrbahnzustand.

Erwartungsgemäß arbeitet die Bremsanlage mit dem Combined ABS auf denkbar höchstem Niveau. Die Abstimmung wurde so gewählt, dass das Antiblockiersystem erst bei recht hoher Handkraft in den Regelbereich kommt, dadurch lässt sich die Bremswirkung sehr gut dosieren. Ohne Angst haben zu müssen, vom Einsetzen des ABS überrascht zu werden, lassen sich so enorme Verzögerungen realisieren. Eine höchst angenehme Begleiterscheinung ist außerdem das sichere Bremsgefühl auf Schotterpisten, auf frühlingshaften Straßen mit viel Rollsplitt oder bei Nässe – also genau unter jenen Kriterien, bei denen der Rollerfahrer traditionell besonders wachsam zu sein hat.

Noch einige Austattungsdetails: Wie schon beim Vorgängermodell ist die riesige Sitzbank (an der sich die Lendenstütze in verschiedenen Positionen anbringen lässt) nicht fernentriegelbar, sondern der Zündschlüssel muss abgezogen werden – dafür ist aber das Sitzbankschloss sehr zugänglich platziert. Der darunter liegende beleuchtete Stauraum ist riesig, zwei Integralhelme finden Platz – eine Verbesserung zum Silver Wing, in dem man einen Vollvisierhelm und einen Jethelm verräumen konnte. Dazu kommen noch zwei Handschuhfächer im Vorderbau, von denen das größere Zweiliterfach versperrbar ist. Das aufgeräumte Cockpit mit den vier analogen Rundinstrumenten ist klassisch-elegant, das fünfte Rundinstrument mit den Digitalinfos ist etwas klein geraten und besonders durch ein getöntes Helmvisier nicht optimal ablesbar. Hier finden wir auch eine Verbrauchsanzeige, auf eine Außentemperaturanzeige wird verzichtet. Bei den ersten „motomobil“-Testfahrten zeigte sich der Verbrauch sehr stark von der Fahrweise abhängig, zwischen 4,8 und 6,0 Liter pro 100 Kilometer ist alles drin.

Der neue Honda SW-T600 bezieht klare Stellung und ordnet sich deutlich erkennbar ein: Die etablierte Position des schlankeren Yamaha T-Max als feinste Roller-Klinge im Kurvengewühl kratzt der SW-T nicht an. Auch nicht die des – mit Luxus-Elektrik vollgestopften – dickeren Suzuki Burgman als fliegender Teppich auf großer Fahrt. Ohne sich als Kompromiss bezeichnen lassen zu müssen, holt sich der SW-T seine Qualitäten aus beiden Bereichen und zeigt eigenständige Merkmale. Was zum Beispiel für den unkomplizierten Alltagseinsatz auf der Mittelstrecke eine sehr gute Idee ist. Daher kann man unter den japanischen Maxirollern auch keinen Sieger im Preis-Leistungs-Verhältnis küren – zu unterschiedlich sind die Ausstattungen und die Charaktere. Kann sich der Großrollerfreund was Besseres wünschen?


MODELLVERGLEICH HUBRAUM/LEISTUNG GEWICHT PREIS
HONDA SW-T600 582 ccm/37,7 kW (51,3 PS) 250 kg* € 9.290,–
SUZUKI BURGMAN 650 638 ccm/41 kW (56 PS) 277 kg* € 11.499,–
YAMAHA T-MAX 500 499 ccm/32,0 kW (43,5 PS) 225 kg* € 11.999,–
*) vollgetankt

TECHNISCHE DATEN: HONDA SW-T600
MOTOR 2-Zyl.-4-Takt, flüssig gekühlt, DOHC, 8 Ventile, EFI
HUBRAUM 582 ccm
LEISTUNG 37,7 kW (51,3 PS) bei 7500/min
DREHMOMENT 55 Nm bei 6000/min
GETRIEBE automat. Kupplung, stufenlose Variomatik
FAHRWERK Stahl-Backbone-Rahmen
AUFHÄNGUNG vo/hi Telegabel 41 mm, Stereofederbeine
RADSTAND 1600 mm
FEDERWEG vo/hi 105/115 mm
BEREIFUNG vo/hi Bridgestone Hoop 120/80-14, 150/70-13
BREMSEN vo/hi 2 x Scheibe 276 mm, Scheibe 240 mm, C-ABS
SITZHÖHE 755 mm
TANKINHALT 16 l
GEWICHT VOLLGETANKT 250 kg
HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT 167 km/h
TESTVERBRAUCH 4,9 bis 5,9 l/100 km
EXTRAS Topcase 40 l, Innentasche 33 l, Gepäcknetz, Faltgarage, Hotcover, U-Schloss, Griffheizung
PREIS € 11.499,–
VERTRIEB/INFO www.honda.at



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